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Friedhelm Döhl • Komponist

Friedhelm Döhl
Zu meiner Musik – am Beispiel Orchester


Manuskript zum Vortrag – 1. Internationales Festival aktueller Musik, Juni 1999, Univerisität Ulan Bator (Mongolei).


Werke in allen Gattungen
Solo – Kammermusik – Orchester
Gesang mit verschiedenen Instrumenten, Chor
Klang-Szenen – Mikrodramen – Gesangszenen – Oper – Raumkompositionen

Jeweils verschiedene Kompositionsansätze,
zB: Solo – Orchester: je spezifische Bedingungen, doch Ineinanderwirken der Vorstellungen,
– so 'Polyphonie' für Soloinstrumente – wie in den 'Texturen' oder in den Kompositionen für offenen Flügel,
– so Orchester als 'e i n Instrument' vorgestellt – wie in 'Ikaros' (Orchester quasi als ein Lebewesen).


Kompositionsperspektiven am Beispiel meiner Orchesterwerke

Stilbildende Perspektiven, für jede Komposition anders, doch die Grenzen sind fließend: Die verschiedenen Perspektiven korrespondieren auch in jedem Werk. Greifen einander vor, greifen aufeinander zurück.


Klang – Form
     
1967/68 MELANCOLIA / Magische Quadrate für großes Orchester mit Chor und Sopransolo
Block I (Sinfonia) – 'en passant' (Passacaglia) – Block II (Canon)

Sinfonia (Cluster → gespreizt).
Passacaglia (rhythmisches Muster, zunehmend gefüllt und verdeckt).
Canon (Polyphonie so dicht, daß Geräuschfarben resultieren.
Ein polyphonisierter Cluster?).

(Friedhelm Döhl Edition / Dreyer-Gaido, Vol. 8)  *
 
 
Improvisation – Komposition
   
1973 ZORCH / Sound-Scene für big band und 3 offene Flügel
Musik als 'Geschichte' eines Tons, Klangs.
'informell'.
Cadenza – spielend in 3 offenen Flügeln, spezielle Notation.

(Vol. 6)
 
 
'Endspiel'-Situation (Kompositionen wie 'sotto voce', Mikrodramen ...)
 
 
Reduktion
Poesie
   
1977 IKAROS / Ballett für Orchester
Reduktion der Form, Differenzierung nach innen.
'Lyrik', bezogen auf ein Gedicht von Erik Lindegren (Ikaros, der immer höher fliegt = immer weiter nach innen, wo es immer kälter wird).
Orchester als atmender Organismus, wie ein riesiger Käfer, der liegt, pumpt, sich aufrichtet, singt, fliegt, abstürzt, krank liegt, noch atmet.

(Vol. 9)
 
 
'wieder Sprache zu gewinnen'
   
1981 SYMPHONIE für Cello und großes Orchester / 'wie im Versuch, wieder Sprache zu gewinnen'
Hymne an die Nacht – Lamento – Intermezzo (Traum-Stück) – Quasi una fantasia

Hymne an die Nacht / Novalis – Nordseenacht (Schwarz-Grau-Silberweiß-Tönung)
– wie ein imaginärer Gong.
Klang-Form / Form-Klang:
Ton/Klang unten → Klangfläche (in sich bewegt) → Ton/Klang oben.
(doch Ambivalenz: im Tiefen das Hohe, im Hohen das Tiefe)

(Vol. 6)
 
 
Persönliches Erlebnis
   
1982 TOMBEAU / Metamorphose für großes Orchester
Beginn 'Salut' – Tod des Vaters – Bruch der Form, Neuansatz aus dem Bruch heraus, Metamorphose des gedachten Inhalts, Form als Resultat des Erlebens.
Metamorphose in 7 Stationen: Salut – (Bruch) – Genesis (Neubeginn) – Bisbigliando – Stabile – Canto – Mobile immenso – Kondukt.

(Vol. 9)
 
 
Musik über Musik / Poesie
   
1985 PASSION. Für Orchester
Bezug Bachs Matthäus-Passion und Georg Trakls Gedicht "Passion"

(Vol. 9)
  
1986 WINTERREISE. Streichquintett
– 'symphonisch' vorgestellt.
Ad lib. Fassung für Streichorchester.
Bezug Schuberts "Winterreise" und Streichquintett sowie 7 Trakl-Gedichte.
Metamorphose in 7 Stationen: Melancholie – De Profundis – Trompeten – An die Schwester – Nachts – Nachtwandlung – Nachtergebung. Strukturmaterial aus meinen "Bruchstücken zur Winterreise": Gute Nacht – Einsamkeit – Der greise Kopf – Die Krähe – Im Dorfe – Der Wegweiser – Der Leiermann

(Vol. 1)
 
 
Post-atonale Formgenese
   
1982 1993/97 SOMMERREISE. Klavierkonzert
I Allegro – II Adagio / Presto
Nach der 'Winterreise' Suche nach neuer Leichtigkeit – 'Sommerreise'.

Satz I: Historische Tonsysteme als Material der Formgenese. (vergleichbar Schönbergs Harmonielehre: 'fortschreitende Eroberung der Obertöne'):
Einzelton – Oktave – Obertöne – Pentatonik – Diatonik – Dreiklangs-Mixtur – diatonische Cluster – Chromatik – Zwölfton – chromatische Cluster – Mixturketten.
Auch historische Motive, Melodien, Harmonien als Material der Formgenese (Collage? wie schon früher zB in ZORCH und TOMBEAU, – oder Bestandteil der postatonalen Sprache?!)

Satz II: Mit 'Kadenz', die von meiner eigenen Position zurück in die Geschichte moduliert, über Schönberg zu Schuberts 'Winterreise' und zurück zu mir.
'Stilfarbenmelodie'.

(Vol. 6)
 
 
Synthese / zyklisches und integratives Komponieren
   
1997/98 SYMPHONIE für großes Orchester
Introitus – Ritual – Ballade – Lied – Intermezzo (Rückblick) – Zerbrochenes Lied (Atemwende) – Exodos

Symphonie als 'Symphonie' meines (kompositorischen) Lebens.
Keine Symphonie in klassischer Form. Jeder Satz hat seine eigene Form.
Die 7 Sätze sind eine zyklische Einheit als Mischung der Charaktere von Ritual – Lyrik – Dramatik/Tragödie. Sie steigern sich in 2-facher Staffelung:
I – II – III / V – VI – VII. Dazwischen als lyrische Insel: IV 'Lied'.
Enger Bezug zur Medea-Oper

I Introitus: Eingang, archaisch und lyrisch, offene Form
II Ritual: Beschwörung. Aus dem Einzelton die allmähliche Auffächerung eines Klangraumes, der kanonisch in sich kreist.
III Ballade: Drama, sich steigernd in durchgängiger Motorik, unterbrochen durch lyrische Passagen, – die Begegnung von 2 Naturen, die tragisch endet.
IV Lied: einfache Form und Struktur. Ruhe-Insel. Oder 'Auge des Orkans'.
V Intermezzo (Rückblick): kurz, I-IV erinnernd und zusammenfassend.
VI Zerbrochenes Lied (Atemwende): Tastversuche zu Beginn, Quinten, Ansätze von Liedhaftem,
Unterbruch durch Störungen und Melancholie,
das Festsingen auf einem Liedmodell, nach und nach gesteigert
und schließlich 'durchdrehend',
in Chaos (erst aleatorisch, denn exakt notiert) und Katastrophe endend.
Der Atem stockt. Fahler Nachhall auf toter Landschaft.
VII Exodos: Analog zum Schlußchor der griechischen Tragödie. Doch nicht belehrend, sondern Trotz, dionysisch dithyrambisch.

Über die 2-fache Staffelung hinaus Querbezüge der quasi lyrischen Sätze II-IV-VI und der quasi dramatischen Sätze III-V-VII.
Rahmen I-VII Introitus und Exodos.

(CD Ars Musici AM 1295-2)
 
 

In der SYMPHONIE kommen zusammen die Erfahrungen aller meiner früheren Kompositionen:

– Mein Komponieren ist zyklisch, in Form einer Spirale, weil jede neue Komposition die Erfahrungen der früheren mit einbezieht, diese weiter komponiert.

– Die SYMPHONIE ist Synthese, es treffen sich die Gestalten meiner Vergangenheit –
Melancholie und Passion, Zorch und Ikaros, Kundry und Medea, Winterreise und Sommerreise, Bach, Schubert und Trakl usw.

– Zyklisches Denken im Sinn der spiralförmigen Entwicklung meiner Kompositionen.

– Integratives Denken durch Zusammenfassung, Montage, Collage, –
Einbezug aller vitalen und künstlerischen Erfahrungen, aus dem Dialog mit Natur, Poesie und Kunst.

– SYMPHONIE auch als Drama ('Medea-Symphonie'), als psychologischer Vorgang,
auch als Roman, wo, wie bei Kafka, die Tagebücher ins Werk eingehen,
wie bei Joyce, das Leben in das Labyrinth, wie bei Celan, die Trauer ins Gedicht (Labyrinth).

 
 

 
PS:
   
1999/2000 REQUIEM 2000 (ATEMWENDE)
für Chor/Doppelchor, Alt/Mezzo, Bariton, Orgel, Flöte/Piccolo, 2 Trompeten, 4 Posaunen, 3 Schlagzeuger

(Friedhelm-Döhl-Edition, Vol. 7)
  
2005/06 GESANG DER FRÜHE (Dialog mit Schumann)
für großes Orchester

(Vol. 8)



*) Vortrag mit zahlreichen Klangbeispielen vom Tonband. Inzwischen verfügbar auf CDs (siehe Text).